Rezension 456
„Und Federn überall“ von Nava Ebrahimi
Worum geht es?
„Nebel liegt über den Feldern und dem Kanal. Es ist, als ob der Winter nicht zu Ende gehen will in der kleinen Stadt Lasseren im Emsland. Hier auf dem platten Land ist jahrein, jahraus nicht viel los. Wer Arbeit sucht, kommt an Möllring nicht vorbei, dem riesigen Geflügelschlachthof am Stadtrand. Für eine Handvoll Menschen beginnt dieser Montagmorgen mit großen Erwartungen. Sonia, alleinerziehende Mutter, hofft auf einen Job weit weg vom Hühnchen-Zerlege-Fließband. Für die junge Ingenieurin Anna steht mit dem Testlauf eines neuen Automatisierungsverfahrens bei Möllring so gut wie alles auf dem Spiel. Merkhausen wiederum, verlassener Ehemann mit einem Faible für Polinnen und zuständig für die Prozessoptimierung im Schlachtbetrieb, fiebert einem Date am Abend entgegen. Und dann ist da noch der geflüchtete Afghane Nassim, der sich in eine Affäre mit der zwanzig Jahre älteren Justyna verstrickt und fest daran glaubt, dass seine Gedichte die deutschen Beamten erweichen werden. Um diese zu übersetzen, ist Roshi, deutsch-iranische Autorin, extra aus Köln angereist. Als ein rücksichtsloser Fahrradfahrer dem sehbehinderten Mann mitten im Ort den Blindenstock kaputt fährt, bringt Nassim es mithilfe des örtlichen Radiosenders nicht nur zu lokaler Berühmtheit. Er bringt auch die Menschen dazu, der eigenen Wahrheit ins Auge zu sehen.“
( Quelle Klappentext zu „Und Federn überall“ von Nava Ebrahimi )
Meine Meinung:
Auf dieses Buch hatte ich mich sehr gefreut! 🙂 Ich habe nämlich kein einziges der nominierten Bücher für den Deutschen Buchpreis gelesen – bis jetzt 🙂 Leider hat es „Und Federn überall“ nicht auf die Shortlist geschafft – völlig zu unrecht, wenn ihr mich fragt! Aber immerhin auf der Longlist ist es gelandet 😉
„Und Federn überall“ von Nava Ebrahimi ist ein vielschichtiger Gesellschaftsroman, der einen Tag einer norddeutschen Kleinstadt widerspiegelt und dabei die Geschichten von sechs Menschen kunstvoll miteinander verwebt. Das Buch behandelt Themen wie Migration, Identität, Mutterschaft, ökonomischen Druck und das stille Ringen um Zugehörigkeit – alles vor der Kulisse eines Geflügelschlachthofs, der zum Sinnbild für die Lebensbedingungen der Protagonisten wird.
Lasseren im Emsland steht als fiktiver Ort für viele von wirtschaftlicher Einöde geprägten Standorte. Haupterwerbsquelle der Region ist der riesige Schlachthof Möllring. Nava Ebrahimi lässt sechs Charaktere erzählen, deren Wege sich an einem einzigen Tag kreuzen und deren Verbindung besagter Geflügelschlachthof ist.
Da ist Sonia, Ex-Schwiegertochter von Ruth, alleinerziehende Mutter von 2 Kindern, u.a. von Leonie, 12 Jahre alt, aufmüpfig, Fast-Teenager. An diesem Tag eskaliert die Situation zu Hause und Sonia sperrt Leonie in ihrem Zimmer ein, ehe sie zum Schlachthof fährt, wo sie in der Zerlegung arbeitet und später ein Bewerbungsgespräch im Betrieb führen wird…
Und Anna, Ingenieurin, die massiv unter Druck steht, einen neuen Automatisierungsprozess, der die sogenannten „Wooden Breasts“ bei Hühnern erkennen soll, bei Möllring erfolgreich zu testen und einzuführen…
Peter Merkhausen, zuständig für Prozessoptimierung im Schlachthof Möllring, sehnt sich nach seiner Scheidung nach einer neuen Partnerin. Favorisierte Frauen sind Polinnen. Hat später ein Date mit Justyna…
Nassim, afghanischer Flüchtling und Dichter, wohnt im selben Haus wie Justyna und hat eine Affäre mit ihr; kämpft um Anerkennung und um Asyl…
Justyna, Polin, Putzkraft bei Ruth und Nassims Affäre, hat bei Möllring mal gearbeitet und hat nun ein Date mit Merkhausen…
Roshi, deutsch-iranische Autorin aus Köln, versucht, Nassims Gedichte ins Deutsche zu übersetzen.
Jede der genannten Personen schleppt einen schweren Ballast mit sich herum. Angefangen von Entwurzelung, Einsamkeit, Überforderung und das Bedürfnis nach Wärme, bis zur Zugehörigkeit und Respekt.
Erzählt wird aus verschiedenen Perspektiven, sodass wir jedes einzelne Schicksal nach und nach immer besser kennenlernen. Wobei die Kapitel/verschiedene Sichtweisen ineinander greifen und sich gegenseitig bedingen. Das hat mir richtig gut gefallen; ich mag solche Verbindungen innerhalb eines Buches! Und am Ende führen all ihre Wege zusammen…
Nava Ebrahimis Stil zeichnet sich durch eine klare Sprache aus, sehr direkt, ungeschönt ehrlich. Die Dialoge wirken demnach nicht konstruiert, sondern nah am Leben. So ist der Schlachthof nicht nur einfach ein Arbeitsplatz, sondern ein Symbol für Ausbeutung und die Härten des Lebens. Das Bild der „Wooden Breasts“, eine Krankheit bei Hühnern, die unter Stress leiden und eine verhärtete Brust bekommen, wird im Buch nicht nur in anderem Kontext wiederholt, sondern bezieht sich auch auf die Menschen im Roman! Sie werden zermürbt, verhärtet durch den Druck ihres Alltags, genauso wie die Hühner!…
Der Autorin gelingt es jedoch, all das, dieses kaputte gesellschaftliche Gefüge sichtbar zu machen, ohne ins Klischeehafte oder in ein Sozialdrama zu verfallen. Es gibt keine große (Ver-)Besserung, sondern ein tägliches Aushalten, ein Leben zwischen Anpassung und innerem Widerstand. Die Geschichten der sechs Figuren zeigen also keine positiven Entwicklungen der Gesellschaft, sondern sie zeigen auf, wie sie auseinanderfällt und jeder Einzelne zu kämpfen hat…
„Und Federn überall“ ist ein leises, bedrückendes Buch. Es gab daher so einige Stellen, die mich schon arg mitgenommen haben; besonders die Geschichte von Sonia! Ich bin selbst Mutter und kann mich gut in Sonia hineinversetzen, wenngleich ich nicht glaube, dass ich meine Tochter jemals einsperren würde! Ihre Geschichte berührte mich aber/daher am meisten!…
Es ist das Menschliche, das im Vordergrund steht! Das Verletzliche! Das Hoffen und Bangen… Ein wirklich wunderbares Buch, wenn man sich darauf einlässt und kein Happy End erwartet…
Von mir bekommt dieses Buch, das zurecht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises steht und es leider zu unrecht nicht auf die Shortlist geschafft hat,
4 / 5 
!!! 🙂
Über die Autorin:
„Nava Ebrahimi, 1978 in Teheran geboren, zählt zu den wichtigen Stimmen der deutschsprachigen Literatur. Sie erhielt 2021 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Für »Sechzehn Wörter« wurde sie mit dem Österreichischen Buchpreis, Kategorie Debüt, sowie dem Morgenstern-Preis ausgezeichnet. Nava Ebrahimi studierte Journalismus und Volkswirtschaftslehre in Köln und arbeitete als Redakteurin bei der Financial Times Deutschland sowie der Kölner Stadtrevue. Seit 2025 ist sie regelmäßige Kolumnistin der Süddeutschen Zeitung. Nava Ebrahimi lebt mit ihrer Familie in Graz.“
( Quelle penguin.de )
„Und Federn überall“ von Nava Ebrahimi
Ein Roman erschienen im Luchterhand Verlag am 29.08.2025
ISBN 978-3630877457
352 Seiten
Gebundene Hardcoverausgabe mit Schutzumschlag
Auch als Ebook und Hörbuch erhältlich