“Ich, Sperling”

Rezension 315

“Ich, Sperling” von James Hynes

Aus dem amerikanischen Englisch von Ute Leibmann

Worum geht es?

Copyright dtv

“An seinem Lebensabend blickt ein Mann zurück auf seine Kindheit: Als namenlose Waise wächst er in einem Bordell inmitten der sogenannten “Wölfinnen” im spanischen Carthago Nova im 4. Jahrhundert nach Christus auf. Eine von ihnen, Euterpe, wird seine Ziehmutter: “Sperling” nennt sie ihn liebevoll.

Sperling weiß nicht viel von der Welt: Anfangs hilft er Euterpes geheimer Geliebten in der Küche, später schuftet er in der Taverne, bis er schließlich in das ominöse Obergeschoss geführt wird, wo die Prostituierten arbeiten. Ein furchtbares Schicksal erwartet ihn dort. Doch er entfliegt der Realität immer wieder, erst nur in der Vorstellung, dann wirklich.”

( Quelle Klappentext zu “Ich, Sperling” von James Hynes )

Meine Meinung:

Zuerst war ich mir nicht sicher, ob ich es schaffe ein fast 600 Seiten zu lesen, wo ich doch im Moment generell viel zu lesen habe! Aber das Cover hat mich fasziniert, ebenso der Klappentext zum Buch! Und nachdem ich den Prolog gelesen hatte, wusste ich, an diesem Buch komme ich nicht vorbei! 🙂 Und gelesen hatte ich es dann innerhalb von 4 Tagen…

Was mir zuerst bei diesem Buch aufgefallen ist, ist das Cover:

Große, goldene und glänzende römische Buchstaben, die den Titel des Buches bilden; ein türkisfarbenes Mosaik, dass einen Vogel – vermutlich einen Sperling – zeigt, ebenso eine Schlange. Was diese zu bedeuten hat, kann man sich denken…Das Cover sieht schon sehr edel aus, zumindest passend für den Zeitraum, in welchem sich die Geschichte zuträgt!…

Der Klappentext gibt grob wieder, um was es in diesem Buch geht. Was der Klappentext jedoch nicht beschreibt, ist das unvorstellbare Leid, welches unser Protagonist erleiden muss! Nicht nur er, aber da es sich bei dem Protagonisten um ein Kind handelt, lässt es einen geradezu erschaudern, verkrampfen, bei dem Gedanken daran, was ihm alles angetan wird!…

Neben all den Gräueltaten, die leider für die damalige Zeit im Prinzip normal war, schildert der Autor James Hynes sehr gut und sehr ausführlich den Alltag in Hispanien im 4. Jahrhundert nach Christus. Der Leser erfährt so einiges über die verschiedenen Stände und dessen Hierarchien, über die alltäglichen Arbeiten auf dem Markt, am Hafen, über Geld und über Sklavenhandel. Wir lernen, wer ein Mensch ist und wer nur ein Ding! Wir lernen aber auch, wie es in einem Bordell und der dazugehörenden Taverne zugeht, dass die “Wölfinnen” regelmäßig in die Therme gehen und dass die Mädchen alle ein recht unterschiedliches Leben hatten, bevor sie in diesem Lusthaus gelandet sind. Ebenso Pusus, was Junge bedeutet, der von der Wölfin Euterpe Sperling genannt wird. Wieso, weshalb, warum, das steht im Buch 😉 Er kann sich gar nicht mehr daran erinnern, wann und wie er zu den Wölfinnen kam. Aber er wird sein Lebtag nicht vergessen, was er dort, bei ihnen, erlebt hat und erleiden musste! Er wurde geliebt, wie ein Sohn großgezogen! Und er wurde zerstört, gebrochen! Aber er hat sich etwas angeeignet, was viele in schlimmen, schmerzerleidenden Situationen machen: Er hat seine Seele vom Körper gelöst! Nur so hat er es geschafft, zu überleben…

Hervorragend ausgearbeitet fand ich die zwischenmenschlichen Beziehungen sämtlicher Charaktere, besonders zwischen Sperling und Euterpe! Richtig gut dargestellt und auch sehr authentisch! Auch die Figuren an sich waren so real , dass man beim Lesen das Gefühl hatte, mittendrin zu sein und nicht bloß Zuschauer! ( Das hat das Ganze noch schrecklicher für mich, den Leser, gemacht! ) Der Autor Jamey Hynes hat durch seinen Schreibstil bei all dem Gräuel aber wunderschöne Bilder in meinem Kopf entstehen lassen: Ich war da! Im Garten des Bordells! Auf der staubigen Straße auf dem Weg zum Bäcker, zum Hafen! In der Therme! Konnte durchaus das Schöne sehen! Ich konnte aber auch die Ausdünstungen der Männer in der Taverne fast riechen und hören, wie sie sich gegenseitig zu- und anbrüllten! Selbst Focaria, erst Köchin, später Thekenmädchen, hörte ich sehr deutlich in meinem Kopf! Allerdings hörte und sah ich leider auch alles andere nur allzu gut, was sich im Obergeschoss bei den Prostituierten abspielte 🙁 Ob ich DIESE Bilder je wieder aus meinem Kopf bekomme?…)

Am Ende des Buches, welches allerdings nicht das Ende der Geschichte ist, musste ich wirklich weinen! Bitterlich weinen! Ich weine oft bei Büchern, weil sie traurig sind oder eben schön und berührend! Hier habe ich als Mutter geweint! Ich habe mich selber schuldig gefühlt, dass ich diesem Jungen, Sperling, nicht helfen konnte!

Sperling ist ca. 10 Jahre alt…

Oh man, auch jetzt beim Schreiben spüre ich wieder, wie nah mir Sperlings, bzw. Jakobs Geschichte geht! Jakob ist der Name, den er sich selbst später gegeben hat. Wir erfahren nicht, was nach der letzten Seite mit ihm passiert ist. Aber dass er in der Lage gewesen ist, uns seine Geschichte aufzuschreiben und sogar Wörter verwendete, wie sie nur Gelehrte verwenden, lässt Raum für Spekulationen, wie es ihm wohl in den folgenden Jahren nach der letzten Buchseite ergangen ist. Hier ist jeder Leser aufgerufen, sich selbst seine Gedanken zu  machen, um die Geschichte zu Ende zu erzählen!

Aber ich möchte euch eine Textstelle zeigen, wie sie auf der Coverrückseite und im Buch, quasi als Prolog, zu finden ist, die einen Eindruck davon vermittelt, wie Jakobs Leben ausgesehen hat:

“Ich, Jakob, Sohn von niemandem, Vater von niemandem, Sklave, Hure, ein Cinaedus, Eunuch, Mörder, Zuhälter, vielleicht Jude, vielleicht Syrer, vielleicht Nilschlamm, Arbeiter, Aufseher, Krüppel, Schwindsüchtiger, herrenloses Gut, verwittertes, von der Flut angespültes Treibholz, letzter Bewohner einer menschenleeren Stadt in einer aufgegebenen Provinz am äußeren Rande eines sterbenden Imperiums, schreibe diese Geschichte meines Lebens nieder!”

Dieses Buch ist wirklich ein Meisterwerk!! Es hat mich auf unterschiedlichste Art und Weise berührt und zum Nachdenken angehalten. Und es hat mir gezeigt, dass die Welt damals gar nicht so viel anders war als heute…Als ob die Menschheit sich nicht weiterentwickelt hätte…

Auch wenn dieses Buch Schreckliches enthält, es findet sich auch immer wieder Schönes in ihm, welches das Buch wert macht gelesen zu werden! James Hynes hat sehr gekonnt Sprache und Bilder eingesetzt, um drastisch darzustellen, aber auch um den Leser vor allzu großer Schmerz zu bewahren! Von daher bekommt “Ich, Sperling” von mir

5 und eine absolute Leseempfehlung! 🙂

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Über den Autor:

James Hynes veröffentlichte bisher drei hochgelobte Romane sowie eine Kurzgeschichtensammlung. Weitere Texte erschienen u.a. in der New York Times und der Washington Post. Er lehrte Kreatives Schreiben an diversen Universitäten. Hynes lebt in Austin, Texas.”

( Quelle Klappentext zu “Ich, Sperling” von James Hynes )

“Ich, Sperling” von James Hynes

Ein Roman erschienen bei dtv am 15.09.2023

ISBN 978-3423283557

592 Seiten

Hardcover mit Schutzumschlag

Auch als ebook und Hörbuch erhältlich

www.dtv.de

“Ich, Sperling” von Jamey Hynes wurde mir vom Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Dies hatte jedoch keine Auswirkung auf meine Meinung und Bewertung!

 

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