Rezension 292

“Übertretung” von Louise Kennedy

Aus dem Englischen von Claudia Genewinkel und Hans-Christian Oeser

Worum geht es?

“Jeden Tag, während Cushla Lavery ihrer alkoholkranken Mutter das Frühstück macht, sich im Garten mit dem Nachbarn unterhält, ihre Grundschüler unterrichtet oder in der Bar ihrer Familie aushilft, werden die Toten und die Verletzten gezählt. Es ist 1975, und in Belfast eskaliert der Bürgerkrieg. Die katholischen Laverys betreiben ihren Pub in einer überwiegend protestantischen Vorstadt. Sie müssen vorsichtig sein – ein falsches Wort, schon findet man sich auf einer Todesliste wieder. In diesem »Höllenloch« gibt es vieles, was man besser nicht tut. Sich in einen verheirateten Mann verlieben, der nicht nur ein wohlhabender, angesehener Prozessanwalt ist, sondern auch noch Protestant. Sich einmischen, wenn ein Schüler schikaniert und sein Vater fast totgeprügelt wird. Gegen jede Vernunft beginnt Cushla eine leidenschaftliche Affäre mit dem deutlich älteren Michael Agnew, gegen jede Vernunft setzt sie sich für den kleinen Davy ein – und bezahlt einen hohen Preis.”

( Quelle Klappentext zu “Übertretung” von Louise Kennedy )

Meine Meinung:

Zuallererst stach mir das Cover ins Auge: Schaut man flüchtig, sieht man eine Flasche und 2 Gläser mit Drinks, Streichhölzer. Dann aber sieht man, dass in der Flasche ein Tuch steckt und ein Streichholz brennt. Passt man jetzt nicht auf, geschieht eine Katastrophe! Und so gibt das Cover kurz und prägnant wieder, um was es in dem Buch geht! Um das explosive Verhältnis zwischen zwei Glaubensgruppen, deren “Krieg” nicht auf der Glaubensebene ausgetragen wird, sondern in den Pubs der Stadt, auf den Straßen, mitten in der Nacht, wenn niemand damit rechnet!…

Der Klappentext gibt sehr gut wieder, um was es in dem Buch geht! Ich war rasch in der Geschichte drin und fühlte von Beginn an die bedrückende Atmosphäre, dieses auf der Hut sein, dieses beobachtet werden, weil man in einer Gegend arbeitet, in der man selbst als Minderheit gilt, als Fremder, als nicht erwünschte Person!

In erster Linie geht es um Cushla, Katholikin, die zusammen im Haus mit ihrer alkoholkranken Mutter lebt, als Grundschullehrerin arbeitet und versucht so etwas wie ein Liebesleben aufzubauen. Nebenbei hilft sie ihrem Bruder im Pub aus. Sie hat es nicht leicht, dennoch setzt sie sich mit aller Macht für einen Schüler und dessen Familie ein, lässt sich auf eine Affäre ein, die viel zu gefährlich ist, nicht nur für ihn…Cushla ist jung, sie hat noch viel Leben vor sich, doch in einem Land, wo derart ausgegrenzt, gehasst wird, sind Träume Schäume und Mitgefühl und Emotionen hinderlich für ein Leben in Frieden! Klingt paradox? Ja, ist es auch! Cushla hat mir aber dennoch als Protagonistin sehr gut gefallen: Sie ist stark und möchte selbstbestimmt leben, merkt aber, dass dies nicht so einfach möglich ist…

Ich konnte mich sehr gut in die Zeit des Bürgerkrieges hineinversetzen, in das Denken der einen sowie der anderen Partei. Allerdings mit einer gewissen Distanz, ich war dabei, aber nicht mittendrin! Man erlebt alles und fühlt und kritisiert, aber es passiert einfach so nebenher, ohne dass wir Einfluss auf die Handlung nehmen wollen, denn ändern können wir ja ohnehin nichts!

Die Erzählweise der Autorin hat auch eher so einen nüchternen Klang! Die Art und Weise wie sie Alltägliches mit den Grauen und Schrecken des Bürgerkrieges in einem Satz nennt, hat schon etwas Resignierendes! Es ist normal! Und wenn man bedenkt, dass sich bis heute nicht wirklich viel geändert hat, sehr erschreckend und auch bedauerlich!

Das Buch “Übertretung” hallt noch eine ganze Weile nach dem Lesen nach, und man fragt sich, wie wäre es zwischen Cushla und Michael gelaufen, wenn NICHT Bürgerkrieg wäre? Wenn sie beide die gleiche Konfession gehabt hätten? Hätten sie eine Chance gehabt? Und was ist mit dem kleinen Davy? Wie schön wäre es, wenn sich die Iren und Nord-Iren nicht als Katholiken und Protestanten sähen, sondern als Christen?

Das Buch hat mich auf jeden Fall sehr nachdenklich zurückgelassen und dafür bin ich der Autorin dankbar! Sie hat uns nur EIN Beispiel geliefert, sicher gab und gibt es solche Geschichten, solche Tragödien zuhauf in diesem schönen Fleckchen Erde! Wie sagt man doch so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt! Und so kann man eben nur hoffen, dass es irgendwann besser wird…

Von mir bekommt dieses Buch

4 !!!

Jetzt Verfügbarkeit prüfen*

Über die Autorin:

“Louise Kennedy wuchs in der Nähe von Belfast auf. Bevor sie mit dem Schreiben begann, arbeitete sie fast dreißig Jahre lang als Köchin in Irland und Beirut. 2021 erschien von ihr ein Band mit Short Stories The End of the World is a Cul de Sac, das von der Presse enthusiastisch aufgenommen wurde (u.a. war es Sunday Times Book of the Year) und die Autorin mit einem Schlag in der englischsprachigen Welt bekannt machte. Übertretung (»Trespasses«) ist ihr erster Roman.”

( Quelle Steidl Verlag )

Über die Übersetzer:

“Claudia Glenewinkel, geboren 1963, studierte Germanistik, französische Literatur und Politikwissenschaften in Göttingen und Literaturvermittlung und Medienpraxis in Essen. Sie ist Lektorin im Steidl Verlag und verantwortet die fremdsprachige Literatur. Zuletzt hat sie, gemeinsam mit Hans-Christian Oeser, von Sebastian Barry Annie Dunne (2021) übersetzt.

Hans-Christian Oeser, 1950 in Wiesbaden geboren, lebt in Dublin und Berlin und arbeitet als Literaturübersetzer, Herausgeber und Autor. Er hat u.a. John McGahern, Mark Twain, Ian McEwan, F. Scott Fitzgerald, Anne Enright, Maeve Brennan, Claire Keegan und Sebastian Barry übersetzt. Für sein Lebenswerk wurde er 2010 mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt- Preis ausgezeichnet. 2020 erhielt er den Straelener Übersetzerpreis der Kulturstiftung NRW.”

( Quelle Netgalley )