“Durch die Nacht”

Rezension 032

“Durch die Nacht” von Stig Saeterbakken

Worum geht es?

copyright Dumont Buchverlag

Karl Meyers erst 18-jähriger Sohn begeht Suizid, indem er volltrunken mit dem Wagen seines Vaters in den Tod rast. Eine Tragödie, die die Familie zerreißt. Eine Tragödie, mit der Vater, Mutter und Schwester umzugehen versuchen. Eine Tragödie, der ein familiäres Drama in Form einer Affäre Karls mit der wesentlich jüngeren Mona vorausgeht. Ist ER Schuld an Ole-Jakobs Tod? Ist er schuldig am Zerbrechen seiner Familie? Unfähig seine Trauer MIT seiner Familie zu bewältigen, begibt sich Karl auf eine Reise in die Slowakei, in der es ein Haus geben soll, in welchem man sich seinen schlimmsten Ängsten stellt, um entweder “geheilt” oder gebrochen wieder heraus zu kommen…

Meine Meinung:

“Trauer tritt in so vielen Formen auf. Sie ist wie ein Licht, das ein- und ausgeschaltet wird. Sie ist da, sie ist nicht auszuhalten, dann verschwindet sie, weil sie unerträglich ist, weil man sie nicht permanent ertragen kann. Man wird gefüllt und geleert. Tausend Mal am Tag vergaß ich, dass Ole-Jakob tot war. Tausend Mal am Tag fiel es mir plötzlich ein. Beides war unerträglich. Ihn zu vergessen war das Schlimmste, was ich tun konnte.” (Zitat/Leseprobe aus “Durch die Nacht”)

“Durch die Nacht” von Stig Saeterbakken ist kein einfaches Buch! Die Thematik alleine, der Suizid von Ole-Jakob und die daraus resultierende Beschäftigung mit der Trauer, verspricht eine gewisse Ernsthaftigkeit, die auf die Seele drückt. Es ist auf einer Seite sehr seltsam, verstörend und auch absurd, auf der anderen Seite aber auch sehr persönlich! (Dazu später mehr!)

Das Buch fängt mit dem Tode Ole-Jakobs an. Es gibt Rückblenden in die Vergangenheit der Kinder ( Ole-Jakob hat noch eine Schwester, Stine) und in die Vergangenheit von Karl und seiner Frau Eva. Diesen Beginn mitsamt Rückblende finde ich persönlich sehr schön, auch wenn mir persönlich zu oft “geschwafelt” wird. Die Passage, wo Karl seinem Sohn ein selbst erfundenes Märchen erzählt und dieses dann später tatsächlich als Buch herausgebracht wird, fand ich unheimlich rührend!! Eine heile und harmonische Familie, wie sie sich jeder wünscht!

Dann gelangt man zum Teil, wo Karl eine Affäre mit der 29-jährigen Mona beginnt. Irgendwann gelangt Karl an einen Punkt, wo er Eva – und auch seine Kinder – einfach nicht mehr belügen kann und will. Er zieht aus, Mona zu ihm. Die Beziehung zu seinen Kindern verändert sich, die zu seiner Noch-Ehefrau sowieso. Karl entfremdet sich von ihnen, oder entfremden sie sich von ihm?

Nachdem sich zwischen Karl und Mona so etwas wie Normalität oder auch Langeweile breit macht, erkennt Karl, dass es das nicht ist, was er wollte! Er kehrt zu seiner Familie zurück, aber wie schon zu erahnen ist, retten kann man da nichts mehr! Dann Ole-Jakobs Tod…

Ich könnte noch ewig so weiterschreiben, aber das würde zum Einen den Rahmen hier sprengen, zum Anderen, wenn ihr wissen wollt, was noch so passiert, wie es mit Karl weitergeht, lest das Buch!!

Nur so viel, ab der Mitte des Buches verändert sich die Sprache, auch die Bildsprache wird anders! Man spürt, dass der Protagonist innerlich unglaublich zerrissen ist, dass er nicht weiß, wohin mit seinen Gefühlen und er einfach keinen Halt mehr hat und nichts, was ihm einen Weg aufweist, wohin er sich wenden soll, um mit seiner Trauer fertig zu werden! Er droht, sich zu verlieren, er schickt sms an seinen toten Sohn und verliert den Bezug zur Realität.

Dann dieses Haus in der Slowakei! Dieses erscheint Karl als einzige Lösung! Dieser Teil des Buches kommt unglaublich surreal daher, erinnert mich irgendwie an Dalís schmelzende Uhren, die er auch nur malen konnte, da er unter LSD-Einfluss stand! Das Ende des Buches lässt einen mit vielen Fragen zurück und der Abspann konfrontiert uns mit Karls Abtauchen in eine andere Welt, in eine Welt, in der alles besser ist! Stirbt er? Ist er wahnsinnig geworden? Man weiß es nicht…

“Durch die Nacht” wirft uns in ein stürmisches Meer aus Verwirrung und Grauen, Liebe und Schuld! Es lastet schwer auf einem, auch mir! Ich habe mir das Schreiben dieser Rezension nicht leicht gemacht! Oft war ich genervt, verzweifelt! Der Protagonist ging mir irgendwann total auf den Nerv, wie er sich in seinem Selbstmitleid suhlt und seine Frau und seine Tochter total darüber vergisst!! Und letztendlich war ich auch sauer auf den Autor, da ich nicht die Möglichkeit habe, ihn nach dem Sinn des Buches zu fragen, da er sich nur 3 Monate nach erscheinen dieses Buches das Leben genommen hat!…

So lässt sich nur spekulieren, ob dieses Buch eine Ankündigung dessen ist, was dann tatsächlich kam! Oder ob es gar der Versuch eines Hilferufs war, den niemand als solchen erkannt hat! Was man über den Autor weiß, ist, dass er sich vielen solchen Gedanken hingegeben hat! Auch bei meiner Recherche auf norwegischen Seiten, ist wenig zu finden, außer, dass er einen Hang zum epischen Herzschmerz hatte, gefüllt mit Selbstmitleid und einer verheerenden Form der Selbstschuld! Mir ist nicht bekannt, ob Stig Saeterbakken Familie hatte, ich vermute mal nicht. Vielleicht war sein Wunsch nach einer heilen Familie, wie Karl Meyer sie ja eigentlich hatte, so groß, dass er, aus Angst Fehler zu machen, aus Angst, sein Glück verlieren zu können, nicht fähig war eine Beziehung einzugehen?! Was man weiß, ist, dass er schon in frühen Jahren an Depressionen litt! Ich bin kein Psychologe, aber ich glaube, Stig Saeterbakken, war ein recht einsamer Mensch, dem der Erfolg seiner Werke ihm nicht das geben konnte, wonach er sich insgeheim gesehnt hat…

“Durch die Nacht” hat mich wirklich sehr, sehr lange beschäftigt. Ein Buch, dass auf der einen Seite so klar, so persönlich geschrieben ist, dass man sich jede Szene perfekt vorstellen kann, als ob man dabei gewesen ist! Und auf der anderen Seite eher wie ein Psychothriller oder gar ein Horrorroman erscheint! Es hat mir jedenfalls viel zu denken gegeben! Über den Autor, diese tragische Geschichte der Trauerverarbeitung, über das, was es bedeutet, etwas zu verlieren, schlicht über die Tatsache, dass alles endlich ist und wir es nicht halten können…

Ihr Lieben, ich kann für dieses Buch keine direkte Leseempfehlung aussprechen, ich werde es auch niemanden zum Geburtstag schenken! Aber wer sich ein solches Buch mit einer derart schweren Thematik zutraut, dem sei es ans Herz gelegt! Ich würde mich auch sehr darüber freuen, mich mit euch über das Buch auszutauschen, vielleicht liege ich mit meiner Sichtweise ja auch völlig daneben?!

Für dieses Buch vergebe ich aber gute  3-4  !!!

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Über den Autor:

Stig Saeterbakken wurde am 04. Januar 1966 geboren und starb am 24. Januar 2012 durch Suizid! Er war ein norwegischer Autor, der neben Romanen und Essays auch Gedichte veröffentlicht hat. Außerdem arbeitete er als Übersetzer.

Stig Saeterbakken galt aber auch in seinem Land als Provokateur. So lud er zum Literaturfestival von Lillehammer 2008 den Holocaust-Leugner David Irving ein.

“Durch die Nacht” von Stig Saeterbakken

ein Roman erschienen im Dumont Buchverlag

ISBN 978-3832183653

288 Seiten

Hardcover mit farbigem Vorsatz und Lesebändchen

www.dumont-buchverlag.de

“Durch die Nacht” wurde mir vom Dumont Buchverlag als kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Dies hatte jedoch keinen Einfluss auf meine Meinung und Bewertung!

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