„Interview mit Sina Beerwald – Die Muse des Teufelsgeigers“

Nominiert für den Goldener HOMER 2025:

Rezension
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Interview mit der Autorin Sina Beerwald zu ihrem Roman „Die Muse des Teufelsgeigers“

von Verena Breuer

Sina, Interessierst du dich für klassische Musik oder spielst du gar selbst ein Streichinstrument? Wie bist du auf die Idee gekommen, ein solches Buch zu schreiben?

Ich habe großen Respekt vor klassischer Musik – sie kann ganze Welten mit einem einzigen Takt eröffnen. Ich selbst habe Klavierspielen gelernt, allerdings nie so virtuos, dass man es öffentlich jemandem zumuten könnte. Mit Streichinstrumenten hatte ich bislang wenige Berührungspunkte, aber genau darin lag auch ein Reiz: mich einer Welt zu nähern, die mir zunächst fremd war. Die Idee kam ganz unspektakulär – und gleichzeitig mit einem Donnerschlag: Ich las einen Bericht über Paganini, sah ein Gemälde, das ihn zeigte. Dieser Ausdruck! Diese Aura! Es war, als würde er direkt aus dem Rahmen steigen. Ich wollte wissen: Wer war dieser Mann, dem sein Ruf als „Teufelsgeiger“, „Hexenmeister“, „Satansspross“ vorauseilte? Hat er wirklich seine Geliebte ermordet, deshalb im Gefängnis gesessen und aus ihrem Darm die berühmte G-Saite gefertigt, auf der er nur deshalb in einer nie dagewesenen Kunstfertigkeit spielen konnte, weil er ein Bündnis mit dem Teufel eingegangen war? Als diese Vorwürfe gegen ihn ausgesprochen wurden, befinden wir uns übrigens wohlgemerkt längst nicht mehr im Mittelalter. Wer war dieser Mann wirklich? Und vor allem – wie fühlte es sich an, als Frau in seiner Nähe zu sein? Daraus entstand Die Muse des Teufelsgeigers.

Warum Paganini und nicht ein anderer Virtuose wie z. B. Stradivari?

Stradivari war zweifellos ein Genie, aber seine Geschichte ist eine andere – er war Geigenbauer, kein Virtuose. Er experimentierte mit Proportionen, Hölzern, Lacken und Formen. Seine Geigen zeichnen sich durch große klangliche Brillanz und Tragfähigkeit aus – sie „sprechen“ im Konzertsaal sofort an und können sich gegen ein ganzes Orchester durchsetzen, sie gelten bis heute als Meisterwerke.

Paganini war ein Phänomen, ein Grenzgänger, ein Mythos, der auf der Bühne lebte – und teilweise auch an ihr zerbrach. Mich interessierte  allerdings nicht nur er als Virtuose, sondern der Mensch hinter dem Ruhm. Ich habe mich intensiv mit ihm beschäftigt, alle seine Briefe und Tagebuchaufzeichnungen gelesen. Paganini war exzentrisch, krank, verehrt, gefürchtet – und in all dem zutiefst faszinierend und verletzlich. Außerdem bietet seine Lebensgeschichte einfach unglaublich viel Stoff für Spannung, Abgründe und Sinnlichkeit. Gründe genug für einen Roman, würde ich sagen, oder?

Paganini spielte übrigens nicht auf einer Stradivari. Sein Lieblingsinstrument war die Guarneri del Gesù von 1743, die er liebevoll „Il Cannone“ („die Kanone“) nannte. Paganini spielte bis zu seinem Tod fast ausschließlich auf dieser Geige, er bezeichnete sie als seine Seele und vermachte die Geige seiner Heimatstadt Genua, wo sie bis heute im Palazzo Tursi aufbewahrt wird. Guarneri-Geigen (besonders von Giuseppe „del Gesù“) klingen dunkler, kraftvoller, rauer und dramatischer. Sie haben mehr „Biss“. Genau dieser kraftvolle, beinahe wilde Ton entsprach Paganinis Spielweise und seiner Bühnenperson als „Teufelsgeiger“. Paganini spielte oft in extremen Lagen, mit Doppelgriffen, Flageoletts und Sprüngen. Die Guarneri vertrug diese Grenzgänge besser, sie „hielt mehr aus“ und reagierte explosiver. Während eine Stradivari eher für feine Balance und klassische Schönheit steht, verkörpert die Guarneri genau das, was Paganini auf der Bühne ausstrahlte: Leidenschaft, Kraft, Dramatik und ein Hauch von Gefährlichkeit.

Warum hast du ausgerechnet Sophie als Protagonistin ausgewählt?

Weil ich mich gefragt habe: Wie sieht die Welt eines Mannes wie Paganini aus Sicht einer Frau aus, die nicht im Rampenlicht steht? Sophie ist eine fiktive Figur, aber sie steht exemplarisch für viele kluge, begabte Frauen ihrer Zeit, die keine Bühne hatten – und trotzdem viel zu sagen. Sie ist keine Marionette der Geschichte, sondern eine, die mit innerer Stärke und leisem Mut ihren Weg geht. Ich wollte ihr eine Stimme geben – und ihr das zusprechen, was Frauen damals viel zu selten zugestanden wurde: Einfluss, Selbstbestimmung, Tiefe.

Sie wird die Muse von Paganini, der sich noch in Wien, im Juli 1828, von seiner Frau trennt, die ihn auf seiner Konzertreise begleitet hat. Das musste einen Grund gehabt haben. Der gemeinsame Sohn Achille war zu diesem Zeitpunkt übrigens drei Jahre alt. Und nun kommt das Unglaubliche: Paganini fühlte sich so eng mit seinem Sohn verbunden, dass er ihn seiner Frau abkaufte – jawohl, dem hat sie zugestimmt, für einen heutigen Wert von rund 50 000 Euro. Achille wollte keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter, er begleitete seinen Vater fortan auf allen Reisen, wurde später zu seinem Sprachrohr, als Paganini nicht mehr sprechen konnte. Denn sie verstanden sich, wie im Roman, mit Blicken.

So, wie du den (Auf-)Bau einer Violine beschreibst, könnte man meinen, du hast das selbst gelernt. Dem ist aber nicht so, oder? 😉

Ich habe mich zumindest wie eine Geigenbauschülerin gefühlt. Ich habe Werkstätten besucht, mit verschiedenen Geigenbauern gesprochen, mir das Holz zeigen und das Handwerk erklären lassen. Ich finde: Wenn man sich in ein Thema vertieft, muss man es mit allen Sinnen tun. Die Zutaten des Geigenlacks beschnuppern, Holz befühlen, Werkzeug in der Hand halten. Das alles hilft, eine Szene lebendig werden zu lassen. Ich hatte zudem eine tolle Lehrmeisterin: Barbara Gschaider, Dipl. Geigenbauerin aus Bonn, die dort zusammen mit ihrem Mann seit 1999 ein Geigenbauatelier betreibt. Sie hat mich zunächst mit ihrem Buch „Geheimnisse aus der Geigenbau-Werkstatt“ mit atmosphärischen Fotos und verständlichen Beschreibungen an die Hand genommen und mir die faszinierende Welt der Geigenbaukunst gezeigt. Bei einem Besuch ihrer Werkstatt durfte ich ihr über die Schulter schauen und mein Wissen und Können überprüfen. Nicht zuletzt hat sie mein Manuskript sachkundig auf Fehler geprüft (ich war mir ja zwischendurch nicht so sicher, ob ich nicht vielleicht aus Versehen eine Gitarre baue), aber sie war sehr zufrieden mit mir als Geigenbauschülerin und hat mich, natürlich mit einem Augenzwinkern, gefragt, ob ich bei ihr in der Werkstatt anfangen möchte. Aber man soll ja bei seinen Leisten bleiben, drum sitze ich lieber weiterhin an meinem Schreibtisch.

Bisher verbinde ich deinen Namen immer mit dem Norden Deutschlands 😉 Wie war es für dich, dich in Österreich und Italien zu bewegen – noch dazu in einer anderen Zeit?

Es war eine wundervolle Herausforderung. Ich liebe den Norden, das stimmt, und ich wohne seit fast zwanzig Jahren auf Sylt, der Schauplatz vieler meiner Romane – aber ich liebe es ebenso, mir neue Räume zu erschließen, so wie ich es auch schon in einigen meiner übrigen historischen Romane gemacht habe: Augsburg, London, Quedlinburg, Mont-Saint-Michel, Sylt und jetzt Wien. Die Stadt hat eine unglaubliche historische Tiefe, die sich mit jedem Schritt durch die Altstadtgassen eröffnet. Genua und Nizza als wichtige Nebenschauplätze waren absolut reizvoll. Ich bin einfach mit offenen Augen und viel Neugier durch diese Städte gegangen – und habe mir vorgestellt, wie Sophie hier unterwegs war, wie Paganini durch dieselben Straßen geeilt sein könnte. Es war wie ein Zeitreise-Spaziergang mit Gänsehautmomenten.

Du warst ja (wahrscheinlich) zu Recherchezwecken vor Ort?! Warst du schon öfter in Österreich und/oder Italien?

Ja, ich war mehrfach vor Ort – sowohl privat als auch zur Recherche. Besonders Genua war für mich ein Schlüsselort: Paganinis Geburtsstadt ist voller Kontraste – verwinkelte Gassen, prunkvolle Palazzi, die salzige Luft des Hafens. Und natürlich das große Highlight: Ich stand vor Paganinis Originalgeige – genau jenem Instrument, an dem Sophie gearbeitet hat. Die Geige trägt noch heute das Griffbrett, das auf der Rückseite mit „Sawicki“ signiert ist. Ich durfte den Klang der Geige hören. Es war ein magischer Moment, so nah an am Puls der Geschichte zu sein.

Auch Wien war wichtig für meine Recherchen – dort wurde Paganini gefeiert, bestaunt, angefeindet. Dort blieb er im Jahr 1828 für rund fünf Monate und gab vierzehn Konzerte. Ich bin mit Sophies Augen durch die Straßen gegangen, an Schauplätzen wie dem Matschakerhof, dem Narrenturm und am „Steffl“ vorbei, habe sie in der Geigenwerkstatt erlebt und mir vorgestellt, wie sie eines seiner virtuosen Konzerte in der Wiener Hofburg besucht hat. Dabei hatte ich das Gefühl, selbst noch einmal die Reaktionen der damaligen Zuhörer auf seine außergewöhnliche und brillante Spieltechnik zu erleben. Die zeitgenössischen Quellen, Konzertberichte, die ich im Archiv fand, waren ein wertvoller Fundus.

Und schließlich war ich in Nizza, wo Paganini 1840 starb. Im Regen stand ich vor seinem Sterbehaus, blickte an der gelben Fassade hoch zu den Fernstern und war tief berührt. Doch begraben wurde er nicht in Nizza– denn die Kirche verweigerte ihm als „Teufelsbündler“ das Begräbnis. Die Konsequenz: Über vierzig Jahre lang lebte sein Sohn Achille mit einem Zinksarg an seiner Seite, darin der einbalsamierte Leichnam seines Vaters. Achille brachte ihn von Ort zu Ort, um ihn vor Schaulustigen zu verstecken. Aber das ist eine andere, eigentlich ganz und gar unglaubliche Geschichte, und doch ist sie wahr.

Ein großes Dankeschön geht übrigens an meinen Partner Knud und sein gutes Nervenkostüm, als er mich sicher durch den pulsierenden Stadtverkehr von Genua und Nizza gefahren hat. Zitat: „Diese enge Straße werde ich nie vergessen, wenn es denn überhaupt eine war.“

Bist du jetzt auf den Geschmack gekommen, was historische Romane betrifft? 😉

Da muss ich ein bisschen schmunzeln – denn tatsächlich schreibe ich schon seit vielen Jahren historische Romane. Die Muse des Teufelsgeigers ist also kein Ausreißer, sondern steht in einer Reihe von Büchern im Regal, mit denen ich immer wieder in vergangene Zeiten eintauche. Und ja: Einige davon waren ebenfalls für den Titel Buch des Jahres nominiert – was mich natürlich sehr freut.

In meinen bisherigen historischen Romanen habe ich mich auch schon mit altem Handwerk beschäftigt und ebenso intensiv recherchiert. Dazu zählen „Die Goldschmiedin“, „Die Herrin der Zeit“ und „Das Mädchen des Leibarztes“. Hinzu kommen meine Sylt-Sagas, die die Geschichte der Insel lebendig werden lassen, wie zum Beispiel „Die Strandvilla“. Aktuell erscheint eine Trilogie rund um die „Sylt-Schwestern“.

Mich fasziniert an diesem Genre, dass man nicht nur Geschichten erzählt, sondern ganze Welten wieder zum Leben erweckt. Ich liebe es, in das Alltagsleben anderer Epochen einzutauchen, auch aus der Perspektive von Frauen, deren Stimmen sonst vielleicht verloren gegangen wären – und mir ist es ein Anliegen, diesen Figuren ein emotionales Zuhause zu geben. Wie war der Alltag? Welche Chancen hatten Frauen? Welche Entscheidungen waren möglich – und welche nicht? Geschichte ist für mich keine Kulisse, sondern ein Resonanzraum für Figuren und Konflikte, die bis heute nachwirken.

Für mich bedeutet ein historischer Roman eben nicht nur, Fakten zu recherchieren, sondern Menschen aus der Vergangenheit in ihrer Tiefe zu begreifen. Und manchmal ist das, was man dort findet, überraschend aktuell.

Was ist dein nächstes Projekt?

Das wird erneut ein musikhistorischer Roman sein, der in Wien spielt – mehr darf ich an dieser Stelle leider noch nicht verraten. Okay, ein Hinweis noch: das Buch wird im Frühjahr 2026 im Aufbau-Verlag erscheinen.

 

Liebe Sina, ich danke dir für dieses Interview und die wirklich ausführliche Beantwortung all meiner Fragen 🙂 Ich bin dir sehr dankbar, dass du dir die Zeit genommen hast und entschuldige, dass mein „Kurzinterview“ so ausgeartet ist 😉

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